Anthony Doerr All the Light we Cannot See (auf Deutsch Alles Licht, das wir nicht sehen, Übersetzung von Werner Löcher-Lawrence )
Nachdem ich im Januar die jüngsten Betrachtungen in Michel Houellebecqs Roman Serotonin gelesen hatte, war mein Februar-Buch der perfekte Gegenpol. Jede Seite Poesie, jede Seite ein Drängen nach vorn, jede Seite voller Leben. Dabei geht es in dem Buch eigentlich ums Überleben und die Humanität in Zeiten extremer Unmenschlichkeit.
Die Geschichte führt zwei sehr unterschiedliche Charaktere unaufhaltsam aufeinander zu. Wenn sie sich am Ende dann nur sehr kurz begegnen, gelingt es ihnen, Kreise zu schließen, die ihnen das Leben schon frühzeitig vorgezeichnet hat.
Sie heißt Marie-Laure, ist blind, lebt in Paris und wird von ihrem sie über alles liebenden Vater aufgezogen. Dieser baut ihr ein Modell der Stadt und bringt ihr bei, sich zunächst mit den Händen und dann später auch in der realen Welt mit ihrem Stock zurecht zufinden.
Er heißt Werner Pfennig und wächst gemeinsam mit seiner Schwester in einem Waisenhaus in Zollverein bei Essen heran. Sie werden von ihrer französischen Heimmutter und einem Radio geprägt, das Werner findet und dem er spät nachts Sendungen aus weiter Ferne (auf Französisch) entlockt.
Marie-Laures Vater arbeitet im Naturkundemuseum und hier entdeckt sie ihre Liebe zu Meerestieren, Mollusken, Schnecken und anderen Schalentieren. Als die Nazis kommen und sie und ihr Vater nach St Malo fliehen, lernt sie wieder, sich anhand eines Modells, das der Vater baut, in der Stadt zurecht zu finden, und sie lernt ihren Großonkel Etienne kennen, der vom 1. Weltkrieg traumatisiert ist, aber auf dem Dachboden ein Radio gebaut hat, von dem er manchmal nachts Sendungen in die Welt schickt.
Werners Begabung, Radios zu reparieren und zu "hören", wo der Fehler liegt, wird bald entdeckt und er durchläuft eine harte Zeit in einer Nazi-Eliteschule, bevor er als 16-jähriger an die Front und im Zuge dessen nach Frankreich geschickt wird. Seine Aufgabe ist es, illegale Sender zu finden und so den Widerstand zu brechen. Doch irgendwann hört er Etiennes Stimme und wird in seine Kindheit zurückgeworfen.
Die Charaktere werden mit solcher Wärme geschildert und die Schwierigkeit, in all den Wirren und unter all den Kriechern, Sadisten und Karrierristen menschlich zu bleiben, wird zur eigenen Gewissensfrage. Zu Recht gewann das Buch für seine hohe Kunst den Pulitzer Preis 2015.
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